Der ehrliche Dieb.
Sämtliche Werke 20: Aus dem Dunkel der Großstadt • 第14章
Aufzeichnungen.
Eines Morgens, als ich mich gerade anschickte, in den Dienst zu gehn, trat Agrafena, meine Köchin, Wäscherin und Haushälterin, zu mir ins Zimmer und begann zu meinem großen Erstaunen ein Gespräch mit mir.
Bis dahin war dieses alte Weib so schweigsam gewesen, daß sie außer den paar Fragen täglich, was sie zum Mittag bereiten sollte u. s. w., fast seit sechs Jahren kein einziges Wort gesprochen hatte. Wenigstens hatte ich keines von ihr vernommen.
„Sehn Sie, Herr, ich bin zu Ihnen gekommen,“ begann sie hastig, „denn Sie müssen die kleine Kammer vermieten.“
„Was für eine Kammer?“
„Die da, neben der Küche. Man weiß doch was für eine.“
„Warum?“
„Warum? Darum, weil Menschen doch vermieten. Man weiß doch warum.“
„Aber wer wird sie denn mieten?“
„Wer wird sie mieten! Ein Mieter. Das weiß man doch wer.“
„Aber dort, Mütterchen, kann man doch kein Bett hinstellen! Es ist doch viel zu eng! Wer kann denn dort leben?“
„Warum dort leben! Wenn er nur irgendwo schlafen kann; leben wird er auf dem Fensterbrett.“
„Auf welch einem Fensterbrett?“
„Das weiß man doch auf welch einem, als ob Sie es nicht wüßten! Auf dem im Vorzimmer. Er wird dort sitzen, nähen oder sonst was tun. Aber er kann ja auch auf dem Stuhle sitzen. Er hat einen Stuhl, auch ein Tisch ist da, alles ist da.“
„Was ist er denn für Einer?“
„Ein erfahrener, ein solider Mensch ist er. Ich werde ihm das Essen kochen, und für die Wohnung und für die Beköstigung werde ich drei Rubel Silber monatlich nehmen ...“
Nach großen Anstrengungen erfuhr ich endlich, daß irgend ein älterer Mensch Agrafena überredet hatte, ihn als Mieter und Pensionär aufzunehmen. Was aber Agrafena sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, damit mußte man sich so schnell als möglich einverstanden erklären, denn ich wußte es aus eigener Erfahrung, daß sie mir früher doch keine Ruhe geben würde. Wenn ihr irgendetwas nicht nach Wunsch ging, so wurde sie nachdenklich und verfiel zuletzt in eine tiefe Melancholie. Dieser Zustand dauerte dann wenigstens zwei bis drei Wochen an und in dieser Zeit war das Essen ungenießbar, die Wäsche nicht gewaschen und das Zimmer nicht gesäubert, mit einem Wort es gab dann viel Unangenehmes. Ich hatte schon längst bemerkt, daß diese schweigsame Frau nicht im Stande war, von sich aus einen Entschluß zu fassen, geschweige denn auf einen neuen ihr selbst angehörigen Gedanken zu kommen. Aber wenn sich in ihrem schwachen Verstande einmal irgendetwas einer Idee oder gar einem Entschluß Ähnliches festsetzte, so konnte man sie durch ein Verbot oder einen Widerspruch auf einige Zeit moralisch vernichten. Weil ich nun um alles in der Welt nicht in meiner Ruhe gestört sein wollte, so willigte ich auch dieses Mal sofort ein.
„Hat er wenigstens irgendwelche Papiere, einen Paß oder so etwas?“
„Wie denn nicht? Man weiß doch, was er ist. Ein solider, erfahrener Mensch. Drei Rubel hat er versprochen zu geben.“
Am anderen Morgen erschien also in meiner einfachen Junggesellenwohnung der neue Einwohner, was mich genau genommen nicht einmal kränkte; im Gegenteil, ich war innerlich sogar sehr zufrieden. Ich lebe einsam, wie ein Einsiedler. Bekannte habe ich so gut wie überhaupt keine, selten gehe ich aus. Zehn Jahre bin ich schon so allein. Freilich hatte ich mich an die Einsamkeit gewöhnt, aber zehn, fünfzehn Jahre oder noch mehr solcher Einsamkeit, mit solch einer Agrafena in solch einer Junggesellenwohnung – ist eine farblose Perspektive. Unter solchen Umständen ist denn ein friedlicher Mensch mehr – eine himmlische Wohltat.
Agrafena hatte nicht gelogen: mein Einwohner war einer von den Soliden. Nach dem Paß erwies es sich, daß er Soldat gewesen war, was ich freilich auch ohnedem auf den ersten Blick erraten hatte. Das erkennt man sofort. Also mein Einwohner Astaphij Iwanytsch war unter seinen Standesgenossen einer der Besseren. Wir lebten gut zusammen. Das Beste war aber doch, daß Astaphij Iwanytsch Geschichten und Erlebnisse aus seinem Leben zu erzählen wußte. Bei der immerwährenden Langweile meines Lebens war solch ein Erzähler einfach ein Schatz. Eine seiner Erzählungen machte auf mich einen nachhaltigeren Eindruck, und so will ich sie denn hier wiedergeben, und auch, bei welch einer Gelegenheit er sie mir erzählte.
Ich blieb einmal allein in der Wohnung. Astaphij wie auch Agrafena waren ausgegangen. Plötzlich hörte ich aus meinem Zimmer, daß irgendjemand ins Vorzimmer trat, wie es mir schien, ein Fremder; ich ging hinaus, und tatsächlich war im Vorzimmer ein fremder Mensch, klein von Wuchs und trotz der kalten Herbstzeit nur im Rock.
„Was suchst Du?“
„Den Beamten Alexandroff. Wohnt er hier?“
„Solch einen gibt es hier nicht, Brüderchen, adieu.“
„Wie denn, der Hausknecht hat mir doch gesagt, daß er hier ...“ murmelte der Besucher und zog sich vorsichtig zur Tür zurück.
„Mach daß Du hinauskommst, mein Lieber.“
Am andern Tage nach dem Mittagessen, gerade als Astaphij Iwanytsch mir meinen Rock anpaßte, den er mir ummachte, trat wieder Jemand ins Vorzimmer. Ich öffnete ein wenig die Tür.
In diesem Augenblick nahm der gestrige Besucher vor meinen Augen meinen Pelz vom Kleiderständer, steckte ihn unter den Arm und ging damit zur Wohnung hinaus. Agrafena sperrte vor Erstaunen nur Mund und Augen auf, tat aber sonst nichts zur Verteidigung meines Pelzes. Astaphij Iwanytsch lief wohl dem Schurken nach, kehrte aber schon in zehn Minuten ganz außer Atem und mit leeren Händen zurück. „Wie unter der Erde verschwunden ist er!“
„Welch ein Pech! Ein Glück, daß er Ihnen noch den Mantel gelassen hat. Er hätte uns ja sonst gänzlich aufs Trockene gesetzt, der Schuft!“
Astaphij Iwanytsch war aber so erschüttert, daß ich vor Verwunderung über ihn den Diebstahl bald ganz vergaß. Er konnte es garnicht fassen, wie das alles so hatte geschehen können. Jeden Augenblick legte er die Arbeit wieder aus der Hand und begann von Neuem, die Sache zu erzählen: wie das alles geschehen war, wie er gestanden, wie man vor seinen Augen, zwei Schritte von ihm entfernt, den Pelz genommen hatte, und wie es gekommen war, daß er ihn nicht hatte packen können. Nach einiger Zeit setzte er sich an die Arbeit, aber es dauerte nicht lange und er warf sie wieder fort. Bald darauf sah ich ihn zum Hausknecht laufen, um ihm die ganze Geschichte zu erzählen, und ihm Vorwürfe zu machen, daß auf seinem Hofe so etwas hatte geschehen können. Darauf kam er zurück und schimpfte Agrafena aus, und als er sich dann wieder an die Arbeit setzte, murmelte er noch lange vor sich hin: wie sich das alles zugetragen, wie er dort gestanden hätte und ich dort und wie jener vor seinen Augen, zwei Schritt von ihm entfernt, den Pelz genommen hatte u. s. w. u. s. w.
Am Abend desselben Tages brachte ich ihm ein Glas Tee, um mir meine Langeweile zu vertreiben, da ich wußte, daß er wieder vom gestohlenen Pelz erzählen würde, was mich infolge der häufigen Wiederholung und tiefempfundenen Aufrichtigkeit des Erzählers nachgerade ungemein erheiterte.
„Man hat uns zum Besten gehabt, Astaphij Iwanytsch.“
„Zum Narren, Herr. Ja, selbst einen Unbeteiligten kränkt das, und die Wut packt mich, wenn es auch nicht mein Mäntelchen war. Weiß Gott, es gibt doch nichts Schändlicheres auf der Welt, als einen Dieb. Wie oft stiehlt solch ein Dieb einem ehrlichen Menschen das Letzte fort, was er sich mit Mühe und saurer Arbeit erworben hat, stiehlt ihm die Zeit, die ganze Ersparnis fort ... Pfui! Man will gar nicht daran denken. Aber ist es denn Ihnen um Ihr Gut nicht leid, Herr?“
„Ja, Du hast Recht, Astaphij Iwanytsch, es würde mir weniger leid tun, wenn die Sache verbrannt wäre, aber sie so einem Diebe abtreten zu müssen ist ärgerlich: das will man nicht.“
„Ja, das ist schon so, das will man nicht. Ein Dieb ist wie der andere ... Aber, wissen Sie, Herr, ich kannte einmal einen Dieb, der doch ehrlich war.“
„Wie das ehrlich? Welch ein Dieb ist denn ehrlich, Astaphij Iwanytsch?“
„Das ist schon wahr, Herr! Welcher Dieb ist denn ehrlich, – solch einen gibt es gar nicht. Ich wollte nur sagen, daß er ein ehrlicher Mensch war, wenn er auch gestohlen hatte. Er konnte einem leid tun.“
„Wie ging denn das zu, Astaphij Iwanytsch?“
„Ja, Herr das war vor zwei Jahren. Ich war damals fast ein ganzes Jahr ohne Stellung. Aber schon vorher, als ich noch im Dienst war, lernte ich einen ganz verkommenen Menschen kennen. In der Volksküche trafen wir uns. Solch ein Trunkenbold, Herumtreiber und Tagedieb war er; er hatte irgendwo früher gedient, war aber seines Suffes wegen von seiner Stelle verjagt worden. Solch ein Unwürdiger! Seine Kleider waren schon Gott weiß wie! Oft wußte man wirklich nicht, ob er noch ein Hemd unter dem Mantel anhatte: alles was er hatte, vertrank er. Dabei war er gar kein Raufbold; war so still, so zärtlich und gut, nie bat er um etwas, immer schämte er sich: aber man sah es ja, wie sehr der Arme trinken wollte und gab ihm dann von selbst. Und so fanden wir uns zusammen, das heißt, er hing sich mir an den Hals. Mir war alles gleich. Und was war das für ein Mensch! Wie ein Hündchen hinter einem her, man geht hierhin, dorthin, er folgt einem immer nach. Dabei hatten wir uns nur ein einziges Mal gesehn. Solch ein Schwächling! Zuerst erlaube, daß er bei Dir nächtigt – nun, ich ließ ihn: sein Paß war in Ordnung, auch der Mensch ging an. Am anderen Tage, laß ihn wieder nächtigen, am dritten kam er schon auf den ganzen Tag, saß bei mir auf dem Fenster und blieb dann wieder zur Nacht. Nun, dachte ich, jetzt hast Du ihn auf dem Halse, gib ihm zu trinken, zu essen und noch dazu ein Nachtlager. Jetzt hast Du, der Du selbst arm bist, noch einen anderen zu ernähren. Früher hatte er sich auch an einen Anderen gehängt, an einen Beamten. Sie tranken zusammen und der Beamte trank sich bald zu Schanden und starb vor Kummer. Diesen hier nannte man Emeljan Iljitsch. Ich dachte und dachte, was soll ich mit ihm anfangen? Ihn fortjagen, dazu tat er mir zu leid: solch ein erbärmlicher und verlorener Mensch, daß Gott erbarme! Solch ein Stiller, Sanfter, fragt nichts, sitzt nur und sieht einem wie ein Hündchen in die Augen. Wie der Suff doch einen Menschen herunterbringen kann! Denke bei mir, werde ihm einfach sagen: gehe fort, Du Emeljanuschka! hier hast Du nichts zu suchen; bist nicht auf den Rechten gestoßen; habe bald selbst nichts mehr zu beißen, wie kann ich denn auch noch Dich aus meinem Brotsack ernähren? Sitze und denke, was wird er machen, wenn ich so was sage? Und ich stelle mir vor, wie er lange mich ansehn wird und wie er dasitzt, ohne zuerst auch nur ein Wort zu verstehen, wie er aber dann, wenn er es endlich verstanden hat, vom Fenster aufsteht und sein Bündelchen nimmt – ich sehe es jetzt noch vor mir, dieses rotkarrierte Bündelchen, voller Löcher, in dem weiß Gott was eingebunden war und das er überall mit sich herumschleppte – wie er seinen Mantel zurechtzieht, damit er etwas anständiger aussieht und man die Löcher nicht sieht – solch ein feinfühliger Mensch war er! Dann würde er die Tür öffnen und mit Tränen in den Augen hinausgehn. Ich kann doch den Menschen nicht ganz zu Grunde gehn lassen ... mir tat er so leid. Da dachte ich denn auch, was willst Du selbst bald beginnen! Warte mal, denke ich bei mir, Emeljanuschka, nicht lange kannst Du bei mir feiern: bald werde ich von hier fort müssen, dann wirst Du mich hier nicht mehr vorfinden. Nun, Herr, so war es auch: Alexander Philimonowitsch, mein Brotherr – jetzt ist er tot, ruh in Frieden seine Seele! – sagte mir: ‚Ich bin sehr zufrieden mit Dir, Astaphij, wenn wir vom Gut zurückkehren, werde ich Dich wieder beschäftigen, werde Dich nicht vergessen.‘ Ich lebte bei ihm als Hausknecht, ein guter Herr war es, leider starb er in diesem Jahr. Nun, wie also Emeljan fortgefahren war, nahm ich mein Hab und Gut und mein bißchen Geld, zog zu einem alten Mütterchen und mietete bei ihr einen Winkel, denn sie hatte nur noch einen Winkel frei. Sie war irgendwo Amme gewesen, erhielt eine Pension und lebte ganz allein. Nun, so dachte ich, leb’ jetzt wohl, Emeljanuschka, lieber Mensch, wirst mich jetzt nicht mehr finden! Was glauben Sie, Herr? Ich kam am Abend nach Haus, hatte einen alten Bekannten besucht, und was sehe ich? Emelja sitzt bei mir auf meinem Koffer, hat das karrierte Bündelchen neben sich, sitzt im Mantel und erwartet mich! ... Von der Alten hat er sich sogar eine Bibel geben lassen und so sitzt er und liest in ihr, hat aber das Buch umgekehrt aufgeschlagen. Er hatte mich also doch gefunden! Ich ließ die Hände sinken. Nun, dachte ich, jetzt ist schon nichts mehr zu machen, warum habe ich ihn nicht schon früher fortgejagt? Und ich frage ihn nur einfach: ‚Hast Du Deinen Paß mitgebracht, Emelja?‘
„Ich setzte mich dann hin, Herr, und fing an nachzudenken, wieviel Beschwerden mir wohl solch ein Vagabund bereiten könnte. Ich dachte nach und es schien mir nicht allzuviel. Er muß doch essen, sagte ich mir. Nun, dachte ich, am Morgen ein Stückchen Brot, und damit es schmackhafter ist, mit ein wenig Zwiebeln dazu. Um die Mittagszeit dann auch wieder Brot mit Zwiebeln. Am Abend Zwiebeln mit Kwaß und auch noch etwas Brot, wenn er Brot haben will. Hin und wieder noch eine Kohlsuppe, dann werden wir ja beide bis zum Halse voll sein. Essen, nun ich esse nicht viel und ein Trinker ißt ja, wie Sie wissen, überhaupt nichts. Aber mit seinem Trinken wird er mich ja zum Äußersten bringen – doch da kam mir, Herr, plötzlich was anderes in den Sinn und es packte mich gewaltig. Wie wenn Emelja fortginge, ich wäre ja meines Lebens nicht mehr froh! Da nahm ich es mir denn vor, sein Vater und Wohltäter zu werden. Ich werde ihn, dachte ich, vor dem Verderben bewahren, werde ihn vom Gläschen entwöhnen. Wart mal, dachte ich, gut, Emelja, bleibe hier, aber ich sage Dir: daß Du Dich gut hältst! Und ich dachte bei mir: wir wollen Dich schon an die Arbeit gewöhnen, braucht ja nicht gleich zu sein, Du kannst noch ein wenig herumstreichen, ich werde inzwischen zusehn und untersuchen, wozu Du, Emelja, Fähigkeiten besitzt. Weil doch, Herr, zu jeder Arbeit im voraus eine menschliche Fähigkeit nötig ist. Also, ich fing daraufhin an, ihn so im Stillen zu beobachten. Was sehe ich: ein ganz verlorener Mensch bist Du, Emeljanuschka! Ich begann erst, Herr, mit guten Worten: so und so, sage ich, Emeljan Iljitsch, wie wäre es denn, wenn Du etwas mehr auf Dich geben würdest? Genug mit dem Bummeln! Sieh Dich doch an, Du gehst ja schon in Lumpen! Dein Mantel, mit Erlaubnis gesagt, ist ja beinahe schon ein Sieb, das geht nicht mehr so weiter, es ist Zeit, sich seiner Ehre zu erinnern! Mein Emeljanuschka sitzt da mit gesenktem Kopf. Was sagen Sie, Herr! Er war schon so weit gekommen, daß er seine Sprache vertrunken hatte, daß er schon kein gescheidtes Wort mehr sagen konnte! Spricht man ihm von Gurken, so redet er von Bohnen. Nun, er hörte mir zu, lange hörte er mir zu und seufzt. Was seufzt Du, frage ich ihn, Emeljan Iljitsch?
„‚Ja, so–o, nichts, Astaphij Iwanytsch, beunruhigen Sie sich nicht. Wissen Sie, Astaphij Iwanytsch, heute haben sich zwei alte Weiber auf der Straße geprügelt. Eine hatte der Anderen den Korb mit Moosbeeren aus Versehn umgeworfen.‘
„Na, was ist denn dabei Neues?“
„‚Diese hat denn der Anderen absichtlich deren Korb umgestoßen und dann hat sie mit den Füßen die Beeren zerstampft.‘
„Nun, und was weiter, Emeljan Iljitsch?“
„‚Nichts, Astaphij Iwanytsch, ich habe nur so ...‘
„Nichts, nur so. Ach, denke ich Emeljan, Emeljanuschka, hast Deinen Kopf vertrunken!“
„‚Ein Herr hatte Papiergeld auf der Ecke der Gorochowaja und Ssadowaja verloren. Ein Mann sah es und sagte: das habe ich gefunden; ein Anderer sah es auch und sagte: nein, das habe ich gefunden! Ich habe es früher als Du gesehn ... Und sie prügelten sich, Astaphij Iwanytsch. Ein Schutzmann kam, hob das Geld auf und gab es dem Herrn zurück. Ihnen aber drohte er, sie auf die Wache zu bringen.‘
„Nun, und was weiter? Was ist denn daran so Erbauliches, Emeljanuschka?“
„‚Ja, – ich nichts ... Das Volk lachte, Astaphij Iwanytsch.‘
„Ach, Du Emeljanuschka! Das Volk! Hast Deine Seele für einen kupfernen Dreier verkauft. Weißt Du was, Emeljan Iljitsch, was ich Dir sagen werde?“
„‚Was denn, Astaphij Iwanytsch?‘
„Nimm doch irgendeine Arbeit, wirklich, zum hundertsten Male sage ich es Dir. Suche Dir einen Dienst, hab doch selbst Mitleid mit Dir!“
„‚Was soll ich denn für eine Anstellung suchen, Astaphij Iwanytsch? Ich weiß doch nicht, was für eine ich nehmen soll, und mich nimmt ja doch Niemand, Astaphij Iwanytsch.‘
„Warum hatte man Dich denn aus dem Dienst gejagt, Emelja, Du durstiger Mensch, Du?“
„‚Wlasja, der Schenkwirt, ist heute ins Kontor gerufen worden, Astaphij Iwanytsch.‘
„Warum hat man ihn denn gerufen, Emeljanuschka?“
„‚Das weiß ich nicht, Astaphij Iwanytsch. Es war wohl nötig so, man hatte es verlangt ...‘
„Ach, denke ich, wir sind beide verloren, Emeljanuschka! Für unsere Sünden wird uns Gott strafen! Nun, sagen Sie doch selbst, Herr, was kann man mit solch einem Menschen anfangen?“
„Oh, es war ein schlauer Bursche! Er hörte mir ja zu, aber wurde es ihm langweilig oder merkte er, daß ich böse wurde, so nahm er seinen Mantel und verschwand einfach ... Den Tag über bummelte er dann und kam am Abend betrunken nach Haus. Wer ihm zu trinken gab, woher er das Geld dazu hernahm, – das weiß nur Gott allein; ich wußte es nicht!
„Nein, sage ich Emeljan Iljitsch, Du wirst bald nicht mehr im Stande sein, Deinen Kopf zu tragen! genug getrunken, hörst Du, genug! Wenn Du noch einmal betrunken heimkehrst, wirst Du auf der Treppe nächtigen. Ich werde Dich nicht mehr hereinlassen! ...
„Nach dieser Drohung saß mein Emelja einen Tag und noch einen anderen bei mir; am dritten Tag war er aber wieder verschwunden. Ich warte und warte – er kommt nicht! Nein wirklich, Herr, ich sorgte mich um ihn, er tat mir, weiß Gott, doch leid. Wo wird dieser armselige Mensch jetzt hingekommen sein? Mein Gott, verliert sich am Ende noch ganz und gar. Es wurde Nacht – er kommt immer noch nicht ... Am anderen Morgen gehe ich auf die Treppe hinaus, und was sehe ich? – er hat dort übernächtigt. Den Kopf hat er auf die Stufe gelegt und liegt da ganz erstarrt vor Kälte.
„Was tust Du, Emelja? Großer Gott, wo bist Du hingeraten?“
„‚Astaphij Iwanytsch, Sie waren doch böse auf mich, Sie sagten doch, ich soll auf der Treppe schlafen ... so wagte ich nicht hineinzugehn, Astaphij Iwanytsch, und legte mich hier schlafen ...‘
„Wut und Mitleid packten mich!
„Ach, Du Emeljan, wenn Du doch etwas anderes tun würdest, als Treppen wischen!“
„‚Was denn sonst, Astaphij Iwanytsch?‘
„Wenn Du doch, Du verlorene Seele, sage ich – mich packte solch eine Wut! Wenn Du doch wenigstens etwas schneidern lernen wolltest. Sieh doch, was Du für einen Mantel hast! Nicht, daß er nur in Fetzen ist, Du wischst auch noch die Treppen mit ihm! Wenn Du doch wenigstens eine Nadel nehmen und Deine Löcher zustopfen würdest, wie es die Ehre verlangt. Ach Du, Trunkenbold Du!“
„Und was glauben Sie, Herr! Er nahm eine Nadel. Ich hatte nur so im Zorn gesprochen, er aber wollte sich doch bessern, wie es schien. Er zog seinen Mantel aus und begann die Nadel einzufädeln. Ich sehe ihm zu; nun, man weiß ja: die Augen entzündet und voll Eiter, die Hände zittern – nichts zu wollen! Er steckt und steckt, der Faden geht nicht hinein; wie er ihn auch leckt und steckt – vergeblich! Schließlich gibt er es auf und sieht mich an ...
„Nun, Emelja, wolltest mir wohl einen Gefallen tun? Gott mit Dir, laß ab von diesen Sünden! Sitze da, wenn Du willst, mach mir aber keine Schande, wie auf der Treppe nächtigen! ...
„‚Was soll ich denn tun, Astaphij Iwanytsch; ich weiß es ja selbst, daß ich immer betrunken bin und zu nichts tauge ... und nur Ihnen, meinem Wo–Wo–Wohltäter das Herz schwer mache.‘
„Da fangen denn plötzlich seine blauen Lippen zu zittern an und ein Tränchen rollt ihm über die bleiche Wange. Wie nun dieses Tränchen auf seinem ungepflegten Bart erzittert, quillt plötzlich ein ganzer Sturz von Tränen hervor ... Väterchen! Wie mit Messern schnitt mir das ins Herz.
„Ach Du, gefühlvoller Mensch Du! Das hätte ich gar nicht von Dir geglaubt! Wer hätte das denken, wer hätte das erraten können! ... Nein, denke ich bei mir, Emelja, Dich gebe ich auf; verkomme wenn Du willst, wie ein Lappen!
„Na, Herr, was ist da noch viel zu erzählen! Die ganze Sache ist doch so leer, erbärmlich und nichtig, nicht der Mühe wert, zu erzählen. Sie Herr, zum Beispiel gesagt, würden für sie nicht zwei Kopeken geben, ich aber hätte gern viel dafür gegeben, wenn ich nur was gehabt hätte, damit alles das nicht geschehen wäre! Ich hatte, Herr, ein Paar Pumphosen, weiß der Kuckuck, gute, wundervolle Pumphosen, blau-karrierte, ein Gutsbesitzer hatte sie bei mir bestellt, überließ sie mir aber, weil er behauptete, daß ich sie ihm zu eng gemacht hätte; so blieben sie denn bei mir. Nun, denke ich: eine wertvolle Sache! Auf dem Trödelmarkt würde man vielleicht fünf Rubel für sie geben, wenn nicht, so mache ich aus dieser einen Hose für die Petersburger Herren zwei Hosen draus und dann bleibt mir noch ein Schwänzchen zu einer Weste für mich. Einem armen Menschen, wie unsereiner, ist alles gut genug! Mein Emeljanuschka verlebte inzwischen eine harte, traurige Zeit. Er trinkt den einen Tag nichts, den anderen auch nichts, den dritten wieder nichts. Kein Branntwein kommt über seine Lippen, er ist ganz wie vor den Kopf geschlagen, trübsinnig stützt er seinen Kopf in beide Hände, kann einem leid tun. Also Bursche, denke ich bei mir, wenn Du kein Geld mehr haben wirst, kommst Du schon von selbst wieder auf den Weg Gottes zurück, habe ja auch genug gesprochen, hast vielleicht endlich Vernunft angenommen. So lagen die Sachen, Herr, als die großen Feiertage begannen. Ich war zur Abendmesse gegangen: komme nach Haus und was sehe ich? Mein Emeljanuschka sitzt betrunken auf dem Fensterbrett, schaukelt bloß hin und her. He he, denke ich, also so bist Du wieder, Bursche! Ich weiß nicht warum, ich ging aber gleich zu meinem Koffer. Nun ja, die Pumphosen waren fort! Ich suche sie hier und dort: verschwunden! Etwas fing in meinem Herzen zu nagen an. Ich stürzte zur Alten, beschuldigte sie zuerst, denn auf Emelja verfiel ich nicht einmal, er war ja wohl aus dem Hause gegangen und betrunken zurückgekehrt, aber ...
„‚Gott mit Dir, mein Kavallerist, was mache ich mit Deinen Reithosen, soll ich sie etwa tragen?‘ sagt die Alte. ‚Mir ist selbst ein Rock verschwunden, durch Ihre Güte an diesem sauberen Herrn Bruder dort ...‘
„Wer war hier? frage ich sie.
„‚Niemand kam, Niemand war hier, ich bin die ganze Zeit zu Hause gewesen. Emeljan Iljitsch war hier und ging darauf aus, kam dann wieder, da sitzt er ja! Frage ihn doch!‘
„Hast Du nicht, Emelja, aus irgend einem Grunde meine Pumphosen genommen, Du weißt doch, die, die ich für den Gutsbesitzer arbeitete?
„‚Nei–ein, Astaphij Iwanytsch,‘ sagte er, ‚ich ... ich habe sie nicht genommen!‘
„Welch ein Unglück! Wieder fing ich an, sie zu suchen, suchte und suchte – nichts! Emelja sitzt da und schaukelt sich. Ich saß, Herr, vor ihm auf einem Koffer, so vor ihm niedergekauert und sah so mit einem Auge auf ihn. He, denke ich, und plötzlich fängt mir das Herz in der Brust zu brennen an und das Blut stieg mir zu Kopf. Plötzlich sieht auch Emelja auf mich.
„‚Nein,‘ sagte er hastig, ‚Astaphij Iwanytsch, ich habe Ihre Hosen nicht ... Sie glauben vielleicht, weil ... daß ... aber ich habe sie nicht genommen.‘
„Wo sind sie denn geblieben, Emeljan Iljitsch?
„‚Ich weiß es nicht,‘ sagte er, ‚ich habe sie überhaupt nicht gesehn.‘
„Nun, Emeljan Iljitsch, dann sind sie wohl also von selbst verloren gegangen?
„‚Kann sein, Astaphij Iwanytsch. Ich weiß es nicht.‘
„Ich stand auf, ging zu ihm ans Fenster, zündete die Lampe an und setzte mich an die Arbeit. Ich wandte die Weste des Beamten um, der über uns lebte. In meiner Brust aber nagt und brennt es. Leichter wäre mir gewesen, wenn ich mit meiner ganzen Garderobe den Ofen geheizt hätte. Emelja aber fühlte es doch, daß Wut mein Herz packte. Wenn der Mensch was Böses verbrochen hat, Herr, so wittert er das Unglück voraus wie die Vögel des Himmels das Unwetter.
„‚Astaphij Iwanytsch,‘ begann Emeljanuschka, aber seine Stimme zitterte dabei, ‚heute hat Antip Prochorytsch, der Feldscher, die Witwe des Kutschers, der vor kurzem starb, geheiratet.‘
„Ich aber, ich sah ihn an, sah ihn nur an ... daß er wohl verstand! Was sehe ich: er steht auf, geht ans Bett und fängt da an herumzustöbern. Ich schweige still, er kramt und kramt und spricht dabei: ‚nicht und nicht, wohin mögen diese dummen Dinger nur hingeraten sein?‘ Ich warte ab, was nun weiter sein wird und was sehe ich? – Emelja kriecht unter das Bett! Da konnte ich nicht mehr an mich halten.
„Was, sage ich, Emeljan Iljitsch, was rutschen Sie da auf den Knieen herum?
„‚Ich sehe nur, Astaphij Iwanytsch, ob nicht die Hosen hier irgendwo umherliegen.‘
„Was tun Sie, mein Herr – aus Ärger sagte ich ‚Sie‘ zu ihm, und „Herr“ – lohnt es sich denn, sich eines armen einfachen Menschen wegen so abzumühn, auf den Knieen herumzurutschen!
„‚Ach, Astaphij Iwanytsch, das tut doch nichts ... man wird sie doch irgendwo finden müssen, wenn man sie sucht.‘
„Hm! ... sage ich, höre mal, Emeljan Iljitsch ...
„‚Was, Astaphij Iwanytsch?‘
„Hast Du sie nicht einfach von mir gestohlen, wie ein Dieb und ein Schurke, aus Dankbarkeit für mein Brot, das ich Dir gegeben habe? – Sehn Sie, er wollte mich damit rühren, daß er auf den Knieen vor mir auf dem Fußboden herumrutschte.
„‚Nein ... Astaphij Iwanytsch ...‘
„Und so wie er da huckte, blieb er noch lange unter dem Bett; endlich kam er wieder hervorgekrochen. Und was sehe ich, ganz bleich ist der Mensch, wie ein Handtuch. Er erhob sich, setzte sich neben mich aufs Fenster und saß so zehn Minuten lang.
Plötzlich steht er auf und tritt auf mich zu, ich seh’ ihn noch jetzt vor mir, furchtbar wie die Sünde.
„‚Nein,‘ sagt er, ‚Astaphij Iwanytsch, ich habe mir nicht erlaubt, Ihre Hosen zu nehmen.‘
Dabei zittert er am ganzen Körper und die Stimme zittert ihm und er stößt sich mit dem Finger vor die Brust, so daß ich selbst verzagte und ganz starr und steif wurde, als ob ich am Fensterbrett angewachsen wäre.
„Nun, sage ich, Emeljan Iljitsch, wie Sie wollen, verzeihen Sie, wenn ich ein dummer Mensch bin, Sie umsonst beschuldigt habe. Gott mit den Hosen. Verloren, verloren, nichts zu machen! Wir werden ohne sie nicht umkommen. Gott sei Dank, Hände habe ich noch, um zu arbeiten. Stehlen werde ich nicht gehn. Bei armen Menschen Almosen betteln werde ich auch nicht ...
„Emelja steht und steht und hört was ich sage, endlich – setzt er sich. So saß er den ganzen Abend, ohne sich zu rühren; ich legte mich schon schlafen – immer saß er noch auf demselben Platz. Am nächsten Morgen wie ich aufstehe, sehe ich, er liegt eingewickelt in seinem Mantel auf dem Fußboden. Hat sich zu sehr erniedrigt gefühlt, kam deshalb nicht auf’s Bett. In der Zeit, Herr, liebte ich ihn nicht, ja, ich haßte ihn sogar. Gerade, als ob mein leiblicher Sohn mich bestohlen und mir blutig weh getan hätte. Ach, denke ich, Emelja, Emelja! Was glauben Sie, Herr, Emelja trank zwei Wochen ununterbrochen. Er war wie rasend geworden, er trank sich zu Schanden! Am Morgen ging er fort und kam betrunken in der Nacht nach Haus. Wenn ich in diesen zwei Wochen auch nur ein Wort von ihm gehört hätte. Wahrscheinlich wollte er mit Absicht zu Grunde gehn. Endlich, da er alles vertrunken hatte, hörte er auf und saß wieder bei mir auf dem Fensterbrett. Ich weiß noch, er saß und schwieg dreimal vierundzwanzig Stunden lang. Plötzlich sehe ich, der Mensch weint. Er sitzt, Herr, und weint – und wie! Wie ein Brunnen und selbst scheint er es gar nicht zu wissen, daß er weint. Es ist schwer zu sehn, Herr, wenn ein erwachsener Mensch weint, wenn ein so alter Mensch wie Emelja vor lauter Armut und Kummer zu weinen anfängt.
„Was fehlt Dir, Emelja?
„Er fuhr zusammen. Ich hatte zum ersten Mal seit jenem Tage wieder ein Wort mit ihm gesprochen.
„Um Gottes willen, Emelja, was sitzt Du denn da wie eine Eule? – Er tat mir leid, der Arme.
„‚Nur so, Astaphij Iwanytsch, nur so. Möchte Arbeit suchen ... Astaphij Iwanytsch ...‘
„Was für eine Arbeit denn, Emelja Iljitsch?
„‚Irgendeine. Vielleicht finde ich so eine Stelle, wie ich sie früher hatte ... ich bin schon zu Fedor Iwanytsch gegangen, habe ihn gebeten ... Es ist nicht gut, Astaphij Iwanytsch, daß ich Sie mit meiner Gegenwart beleidige. Ich werde Ihnen, Astaphij Iwanytsch, so wie ich eine Stelle finde, alles zurück geben und für alle Ihre Sorgen ...‘
„Genug, Emelja, genug! Das war eine Sünde, nun, sie ging vorüber! Der Kuckuck mag sie holen! Wir aber wollen wieder nach dem Alten leben!
„‚Nein, Astaphij Iwanytsch, Sie meinen vielleicht, daß ... aber ich habe mir nicht erlaubt, Ihre Hosen zu nehmen.‘
„Nun, wie Du willst, Gott mit Dir, Emeljanuschka.
„‚Nein, Astaphij Iwanytsch, ich sehe, ich kann nicht mehr hier bleiben. Entschuldigen Sie mich, Astaphij Iwanytsch, aber ...‘
„Gott mit Dir, sage ich, wer beleidigt Dich denn, Emeljan Iljitsch, wer jagt Dich denn von hier fort, ich etwa?
„‚Ja, es ist von mir unanständig, so bei Ihnen zu wohnen, Astaphij Iwanytsch ... Ich werde schon besser gehn.‘
„Er war beleidigt. Er stand wirklich auf und nahm seinen Mantel ...
„Wohin gehst Du denn, Emeljan Iljitsch? Sei doch vernünftig. Wohin willst du denn gehn?
„‚Leben Sie wohl, Astaphij Iwanytsch, halten Sie mich nicht mehr zurück‘ – hier weinte er schon wieder – ‚ich gehe schon von der Sünde weg, Astaphij Iwanytsch. Sie sind schon nicht mehr so wie früher zu mir ...‘
„Wie, nicht so? Du bist ja wie ein kleines unvernünftiges Kind, wirst doch allein untergehn, Emeljan Iljitsch.
„‚Nein, Astaphij Iwanytsch, jetzt verschließen Sie immer Ihren Koffer und ich muß das sehn und dann weine ich ... Nein, lassen Sie mich lieber, Astaphij Iwanytsch, und verzeihn Sie mir, wenn ich Sie beleidigt habe ...‘
„Und was glauben Sie, Herr – der Mensch ging wirklich fort! Ich warte einen Tag, denke bei mir, er kommt am Abend – nein! Am zweiten Tag – wieder nicht, am dritten auch nicht. Die Sorge quälte mich, ich konnte nicht essen, nicht trinken, nicht schlafen. Er hatte mich ganz entwaffnet, dieser Mensch! Am vierten Tage ging ich in die Kneipen, um ihn zu suchen, frage überall nach ihm – nichts! Emeljanuschka ist verschwunden! Hast Deinen armen Kopf verloren, denke ich. Oder vielleicht liegst Du Trunkenboldchen irgendwo am Zaun wie verfaultes Holz? ... Halbtot kam ich zu Hause an. Am anderen Tage suchte ich ihn wieder und verwünschte mich selbst, weil ich solch einem dummen Menschen seinen freien Willen gelassen hatte. Endlich am fünften Tage, es war ein Feiertag – es tagte kaum – da knarrte die Tür. Und siehe, Emelja kam! Ganz blau, die Haare voller Schmutz, als ob er auf der Straße geschlafen hätte, und mager war er geworden wie ein Holzspan! Zieht seinen Mantel aus, setzt sich zu mir auf den Koffer und sieht mich an. Ich freute mich, ihn wiederzusehn, doch der alte Kummer kam, wenn auch nur auf einen kurzen Augenblick, noch stärker über mich. Denn es ist doch so, Herr, hätte ich solch eine Sünde begangen, so hätte ich eher wie ein Hund am Zaune krepieren wollen, als so wiederkommen! Aber Emelja kam zurück. Nun, natürlich ist es schwer, einen Menschen in solch einer Lage zu sehn. Ich streichelte und tröstete ihn: Emeljanuschka, sage ich, bin froh, daß Du wieder da bist! Wenn Du auch heute nicht gekommen wärst, so wäre ich Dich wieder in allen Kneipen suchen gegangen. Hast Du gegessen?“
„‚Ja, Astaphij Iwanytsch.‘
„Das wirst Du wohl kaum getan haben? Hör mal, Brüderchen, von gestern ist noch Kohlsuppe nachgeblieben; haben nicht gefastet, haben sogar Fleisch gehabt. Hier sind auch Zwiebeln mit Brot. Iß, sage ich Dir, iß zur Gesundheit.
„Gab ihm zu essen und da sah ich denn, daß der Mensch vielleicht drei Tage nichts gegessen hatte – solch einen Hunger hatte er.
„Wie freue ich mich über Dich, Lieberchen! Warte, ich laufe und hole Dir noch einen Liter Branntwein, damit Du Deine betrübte Seele vergessen kannst! Machen wir Schluß mit allem, was gewesen ist, genug damit, ich bin nicht mehr böse auf Dich, Emeljanuschka! Ich brachte ihm den Branntwein.
„Nun, Emeljan Iljitsch, trinken wir auf den Feiertag. Willst Du? Zur Gesundheit!
Gierig streckte er seine Hand darnach aus, schon wollte er zugreifen, doch plötzlich zögerte er einen Augenblick; dann griff er wieder zu und führte das Liter Branntwein an den Mund. Seine Hand zitterte dabei so, daß er den Branntwein verschüttete. Was sehe ich aber, – er stellt ihn doch wieder ohne zu trinken auf den Tisch zurück!
„Was ist Dir denn, Emeljanuschka?
„‚Nichts. Ich ... Astaphij Iwanytsch ...‘
„Wie, Du trinkst nicht?
„‚Ja, ich ... Astaphij Iwanytsch ... ich werde nicht mehr trinken ... Astaphij Iwanytsch ...‘
„Was, Du hast also ganz aufgehört zu trinken, Emeljanuschka, oder trinkst Du nur heute nicht?
„Er schwieg. Nach einiger Zeit stützt er seinen Kopf in beide Hände.
„Bist Du nicht am Ende krank, Emelja?
„‚Ja, so, fühle mich schlecht, Astaphij Iwanytsch.‘
„Ich legte ihn zu Bett. Es ging ihm wirklich schlecht. Der Kopf brannte, und Fieber schüttelte ihn. Den Tag über saß ich bei ihm. Zur Nacht wurde ihm noch schlechter. Ich tat in den Kwaß etwas Butter und Zwiebeln, bröckelte etwas Brot hinein.
„Nun, sage ich, iß die Brotsuppe, es wird Dir dann besser werden! ... Er schüttelt mit dem Kopf.
‚Nein,‘ sagt er, ‚heute werde ich nichts essen.‘
„Die Alte hat sich auch angestrengt für ihn; ich habe ihm Tee gemacht – hilft alles nichts, es geht ihm nicht besser. Nun, denke ich, jetzt wird’s schlimm! Am dritten Morgen ging ich zum Arzt. Der kam, sah ihn an und sagte: ‚Es lohnte sich nicht mehr, mich zu rufen. Man kann ihm ja Pulver geben ...‘ Nun, Pulver habe ich ihm nicht gegeben, dachte, der Arzt will ihn nur verwöhnen. Inzwischen kam aber schon der fünfte Tag.
„Er lag vor mir auf dem Bett, Herr. Ich saß auf dem Fenster, hielt gerade die Arbeit in der Hand. Die Alte heizte den Ofen. Wir schwiegen alle. Mir schmerzte das Herz zum Zerreißen, als ob ich meinen leiblichen Sohn verlor. Ich wußte, daß Emelja mich ansieht. Schon am Morgen bemerkte ich, daß er sich anstrengte, mir was zu sagen, es aber doch nicht wagte. Wie ich nun aufsehe, lag solche Trauer in seinen Augen. So wie er aber bemerkte, daß ich ihn ansah, wandte er gleich seinen Blick von mir ab.
„‚Astaphij Iwanytsch?‘
„Was, Emeljanuschka?
„‚Wie, wenn man, zum Beispiel, meinen Mantel auf dem Trödelmarkt verkaufen würde, wieviel würde, wieviel würde man für ihn geben, Astaphij Iwanytsch?‘
„Nun, wieviel würde man denn geben? Drei Rubelchen vielleicht, Emeljan Iljitsch.
„Versuch’s mal, bring ihn nur hin, dachte ich bei mir, nichts würde man Dir in Wirklichkeit dafür geben! Dich auslachen würde man, daß Du solch eine Sache verkaufen gehst. Sage ihm nur so zur Beruhigung, kenne doch den Menschen Gottes und seinen gutmütigen Charakter.
„‚Ja, ich denke auch, Astaphij Iwanytsch, daß man drei Rubel für ihn geben würde. Es ist doch eine Sache aus Tuch, Astaphij Iwanytsch.‘
„Ich weiß nicht, Emeljan Iljitsch, sage ich, wenn Du ihn hinbringen willst, dann mußt Du zuerst drei Rubel fragen.
„Emelja schwieg darauf eine Weile.
„‚Astaphij Iwanytsch?‘
„Was, Emeljanuschka?
„‚Verkaufen Sie den Mantel, wenn ich gestorben bin, beerdigen Sie mich nicht in ihm. Ich kann auch so liegen; er ist eine wertvolle Sache, Sie können ihn brauchen.‘
Das packte mich so, Herr, daß ich nichts mehr sagen konnte. Fühle nur, daß der Tod schon an sein Herz klopft. Wieder schwiegen wir alle. Eine Stunde verging so. Ich sehe heimlich zu ihm hinüber: immer sieht er mich noch an. So wie sich aber sein Blick mit dem meinen kreuzt, sieht er fort.
„Willst Du nicht vielleicht ein Schluckchen Wasser trinken, Emeljan Iljitsch?
„‚Geben Sie, Astaphij Iwanytsch.‘
„Ich gab ihm zu trinken. Er trank gierig. ‚Danke, sagt er, Astaphij Iwanytsch.‘
„Willst Du sonst noch was, Emeljanuschka?
„‚Nein, Astaphij Iwanytsch, ich habe nichts nötig, ich wollte nur ...‘
„Was?
„‚Davon ...‘
„Wovon, Emeljanuschka?
„‚Die Pumphosen ... Davon, daß ... ich hatte sie damals von Ihnen genommen, Astaphij Iwanytsch.‘
„Nun, sage ich, Gott wird Dir verzeihn, Du Armer, gehe in Frieden ... Mir selbst aber, Herr, blieb der Atem stehn. Die Tränen stürzten mir aus den Augen, mußte mich abwenden.
„‚Astaphij Iwanytsch ...‘
„Ich kehre mich um und sehe, Emelja will mir noch was sagen, er will sich mit aller Gewalt aufrichten, er bewegt die Lippen ... Plötzlich wird er ganz rot im Gesicht und sieht mich an ... Darauf wird er immer blasser und blasser, wirft den Kopf zurück, seufzt noch einmal tief auf ... und dann ging seine Seele zu Gott. — — —