Drittes Kapitel.
Zu stark für dies Leben • 第5章
Drittes Kapitel.
Als er nach Hause kam, fand er sein Essen in einer innerlich gepolsterten Kiste, die er an einem Sonntag mit seinem Sohne Hermann verfertigt hatte, warmgestellt. Hermann, der Arzt werden wollte, und über den Tag in Instituten, Vorlesungen oder in Bibliotheken war, las in der Zeitung, die er mit beiden Händen ausgebreitet vor dem Gesichte hielt.
„Hermann,“ sagte Grahl gedämpft, indem er mechanisch den Suppenlöffel zum Munde hob, „sind sie schon schlafen gegangen?“
„Ja, beide,“ gab Hermann ebenso leise zurück.
Diese „beiden, die bereits schlafen gegangen,“ waren Anna, die Frau Jakob Grahls, und Gertrud, seine achtzehnjährige Tochter. Hermann war nur fünfeinhalb Jahre älter als seine Schwester. Die Aehnlichkeit mit dem Vater war deutlich erkennbar. Er hatte dieselben vernünftigen Augen, in welchen nur dieser eine Ausdruck von sachlich beherrschter Innerlichkeit lag. Seine Lippen dagegen, die meistenteils wie die seines Vaters als ein schmales Bändchen gezogen waren, konnten sich manchmal, wenn er lebhaft mit einem Gedanken beschäftigt schien, trotzig nach außen werfen.
„Weißt du vielleicht,“ fragte Grahl nach einer Weile, während der nur das leise Schlürfen der Lippen vom Löffel zu hören gewesen, „weißt du, Hermann, ob jemand im Laufe des Tages das Vorderzimmer besichtigt hat?“
„Nein,“ sagte Hermann, „es war niemand da.“ Sein Gesicht war auch beim Sprechen von der Zeitung verdeckt.
„So,“ sagte Grahl. „Hmhm. Merkwürdig ... Als ob das Unglück mit diesem Mörk in das Zimmer gezogen wäre. Noch niemand war da, um es zu besichtigen.“
Er hatte den Namen Mörk leise hervorgestoßen, als hinderten ihn Verlegenheit oder Wut, mit offener Stimme zu sprechen. Hermann hatte die Zeitung dichter zu sich herangezogen.
„Vielleicht,“ sagte er ruhig, „sind den suchenden Einlogierern unsere vier Treppen eine Bemühung, die sie nicht lieben.“
„Aber die jungen Studenten!“ entgegnete Grahl. „Ich hatte damit gerechnet. Wir sind nicht so weit von der Akademie.“
„Ja, ja,“ sagte Hermann.
„Was steht in der Zeitung?“
„Nichts Interessantes.“
„Aber du liest sehr interessiert.“ Beide schwiegen. Plötzlich begann Grahl, noch leiser, aber ungleich lebhafter als zuvor: „Du mußt morgen zur Zeitung gehen, den Redakteur des lokalen Teiles besuchen und ihm eine Sache nahelegen. Du weißt wohl schon, hm, was ich meine?“ Das Lächeln, das ihn immer vor der Preisgabe eines Gesichtes, das er zu verbergen gewillt war, beschützte, zog seinen linken Mundwinkel aufwärts.
„Den Namen nicht nennen?“ sagte Hermann sachlich, fast ohne Ausdruck.
„Das ist es, ja,“ sagte Grahl noch leiser. Er häufelte einen Rest von Suppenkraut auf dem Teller. „Höchstwahrscheinlich wird ein Bericht über die Verhandlung erscheinen. Bitte den Redakteur, er möge sich mit den Anfangsbuchstaben begnügen. Statt des vollen Namens deiner Mutter setze er „G.“, zum Schlimmsten „A. G.“. Aber auch nicht den vollen Namen von ... Mörk. Oder vielleicht nur: Die Angeklagte ... der Kläger. Ich denke, der Zeitungsmann wird sich, auf deine besondere Bitte, ohne Weigern solch einer Art von Bezeichnung bedienen. Meinst du nicht auch?“
„Kann sein.“
„Du willst es versuchen?“
„Natürlich. – Uebrigens – ich müßte zu sämtlichen Zeitungen gehen. Kann Gertrud nicht einen Weg übernehmen?“
„Ich möchte, daß Gertrud nicht nur deine Mutter auf diesem entsetzlichen Wege morgen begleitet, sondern auch über den ganzen Tag bei ihr bleibt.“
„Ich werde es besorgen.“
„Gehe zu den drei großen Blättern: Anzeiger, Nachrichten, Städtisches Blatt. – Was für einen Eindruck hast du von deiner Mutter am Abend gehabt? Glaubst du, sie wird überleben, wenn –“
„Ich habe sie nur flüchtig gesehen,“ unterbrach ihn Hermann. „Sie ging schlafen, bald nachdem ich gekommen war. Und in der halben Stunde, daß sie im Sofa saß, konnte ich, wenn ich über den Löffel blickte, ihr Lächeln bemerken, dies unerklärliche Lächeln, das an dem Tage begann, als das Gericht uns die Anklageschrift auf den Rücken schickte.“
„Und was hat sie mit dir geredet?“
„Kein Wort.“
„O dieser Mörk, dieser Mörk,“ stöhnte Grahl, „hätte er niemals das Zimmer bewohnt.“
„Ist sonst noch etwas, Papa,“ fragte Hermann, der aufstand und alle Beilagen nach ihren Nummern zusammenlegte.
„Nein, nichts, mein Junge ... außer den Zeitungsberichten, weißt du.“
„Gute Nacht.“
„Gute Nacht, mein Junge.“
„Noch eins,“ sagte Hermann und wandte, schon an der Tür, den Kopf um ein kleines rückwärts. „Ich werde morgen sehr früh aus dem Hause müssen. Ich sage dir also schon heute für morgen Adieu.“
Grahl hörte noch seine festen Schritte, wie er über den Flur in das Zimmer hinüberging, wo Gertrud lag und wahrscheinlich noch wachte. Dann ging er selber behutsam ins Nebenzimmer. Dort, in dem Bette neben dem seinen, bei einem Lämpchen, das neben der Uhr stand, mit festverschlossenem Munde lag Anna, von ergrauendem Haar das glühende Gesicht umrahmt, aber ohne Bewegung und unhörbar atmend.