Polsunkoff.
Sämtliche Werke 20: Aus dem Dunkel der Großstadt • 第13章
Eine Erzählung.
Ich sah mir diesen Menschen näher an. Sogar in seinem Äußeren hatte er etwas so Besonderes, das einen unfreiwillig zwang, wie zerstreut man auch gewesen wäre, ihn sich näher anzusehn, um dann sofort von einem unüberwindlichen Lachkrampf befallen zu werden. So geschah es auch mit mir. Die Äuglein dieses kleinen Herrn waren so beweglich oder vielmehr er selbst war dem Magnetismus eines jeden auf ihn gerichteten Blickes dermaßen unterlegen, daß er instinktiv erriet, wann man ihn betrachtete, sich gleich nach seinem Beobachter umkehrte und unruhig dessen Blick zu analysieren begann. Durch seine ständige Beweglichkeit und sein ewiges hin und her ähnelte er tatsächlich auffallend einer kleinen Wetterfahne. Sonderbar! Wie es schien, fürchtete er, daß man über ihn lachen könnte, und doch verdiente er sich gerade damit sein Brot: er war Allerweltsnarr und ließ sich, je nachdem in welcher Gesellschaft er sich befand, im moralischen wie im physischen Sinne alles gefallen. Freiwillige Narren tun einem ja nicht leid. Aber ich bemerkte sofort, daß dieses sonderbare Geschöpf, dieser lächerliche Mensch kein Narr von Beruf war. In ihm steckte noch etwas Anständiges. Seine Unruhe, seine ewig krankhafte Angst vor der Lächerlichkeit sprachen zu seinen Gunsten. Mir schien es vielmehr, daß sein Wunsch, anderen zu Diensten zu sein, nur aus seinem guten Herzen entsprang, nicht aber aus Berechnung eines materiellen Vorteils etwa. Er erlaubte es mit Vergnügen, daß man über ihn aus vollem Halse und in der taktlosesten Weise lachte, zu gleicher Zeit aber – und ich könnte es schwören – schmerzte ihm sein Herz, und das Blut stieg ihm zu Kopf bei dem Gedanken, daß seine Zuhörer so gemein und herzlos sein konnten, nicht nur über seine Witzchen allein, sondern auch noch über ihn selbst, ja über seinen ganzen Menschen zu lachen. Ich bin überzeugt, daß er in diesen Minuten die ganze Dummheit seiner Lage fühlte; aber der Protest erstarb sofort in seiner Brust, um jeden Augenblick von neuem geboren zu werden. Wie gesagt, ich bin überzeugt, daß bei ihm alles nur vom guten Herzen kam und nicht aus Angst vor dem materiellen Schaden, sagen wir, etwa fortgejagt zu werden und hinfort kein Geld mehr gepumpt zu erhalten: dieser Herr borgte nämlich immer Geld, d. h., er bat in dieser Form Almosen, und wenn er genug Faxen gemacht und andere auf seine Rechnung belustigt hatte, glaubte er, sich teilweise diese Almosen verdient zu haben. Aber, mein Gott, was war das für ein Pumpen! Und auf welche Weise machte er diesen Pump! Man hätte es niemals voraussetzen können, daß auf einer so kleinen Oberfläche, wie es das runzelige, eckige Gesicht dieses Menschen war, zu ein und derselben Zeit, so viel verschiedenartige Grimassen, so viel sonderbare, charakteristische Ausdrücke und die Widerspiegelung soviel allerqualvollster Eindrücke Platz finden konnten.
Was war doch alles auf ihm zu erblicken, – Scham und erlogene Frechheit, Ärger, Bangen vor dem Mißerfolg, die Bitte um Verzeihung, daß er es wagte, einen zu belästigen, das Bewußtsein des eigenen Wertes und wiederum das vollkommene Bewußtsein seiner eigenen Nichtigkeit – alles das ging wie Wetterleuchten über sein Gesicht. Ganze sechs Jahre lang fristete er sein Dasein in dieser Weise auf der Gotteswelt und konnte sich noch immer nicht in der wichtigsten Minute des Pumpes eine Haltung geben. Versteht sich, er konnte nicht gefühllos werden oder gar gemein handeln. Sein Herz war zu beweglich, zu heiß! Ja, meiner Meinung nach war er der alleranständigste und ehrlichste Mensch auf der Welt, der aber nur mit einer einzigen kleinen Schwäche behaftet war: er konnte nämlich auf den ersten Befehl gutmütig und uneigennützig eine Gemeinheit begehn, nur um den Nächsten einen Gefallen zu erweisen. Mit einem Wort, als Mensch war er ein vollständiger Lappen. Aber am allerlächerlichsten war es doch, daß er ebenso gekleidet war wie alle, nicht schlechter, nicht besser, sauber und sogar mit einer gewissen Gesuchtheit, mit Anspruch auf Solidität und persönliche Würde. Dieses Streben nach äußerer und gewiß auch innerer Gleichheit, die Unruhe um sich selbst und zu gleicher Zeit diese ununterbrochene Selbsterniedrigung – alles das bildete den schreiendsten Kontrast und war des Mitleids und des Gelächters wert. Wenn er in seinem Herzen überzeugt gewesen wäre, daß alle Lacher die besten Menschen der Welt sind – was er trotz seiner Erfahrungen immer noch glaubte –, und daß sie nur über die Tatsache der Lächerlichkeit, nicht aber über seine Persönlichkeit lachten, so würde er mit Vergnügen seinen Frack ausgezogen und ihn umgekehrt angezogen haben und in diesem Gewande den Anderen zum Gefallen und sich selbst zur Genugtuung durch die Straßen gegangen sein, nur um seine Gönner zu erheitern und ihnen Vergnügen zu bereiten. Aber die Gleichheit konnte er doch nie und nimmer und durch nichts erreichen. Übrigens noch ein Zug: der sonderbare Kauz hatte ehrgeizige Anwandlungen und, wenn gerade keine Gefahr vorhanden war, auch sogar großmütige. Man mußte nur sehn und hören, wie er es verstand, zuweilen sogar ohne sich zu schonen, folglich also mit einem Risiko, ja, fast mit Heldenmut, irgend jemanden von seinen Gönnern, der ihn zu sehr gekränkt hatte, zu bearbeiten! Aber das kam nur in seltenen Minuten vor ... Kurz, er war ein Märtyrer in des Wortes vollster Bedeutung, aber der allernutzloseste und daher allerlächerlichste Märtyrer der Welt.
Unter den Gästen erhob sich ein allgemeiner Streit. Plötzlich sah ich wie mein Kauz vom Stuhle springt und aus allen Kräften schreit, man möge doch ausschließlich ihm das Wort geben.
„Passen Sie auf,“ flüsterte mir der Wirt zu. „Er erzählt mitunter die sonderbarsten Sachen ... Interessiert er Sie?“
Ich nickte mit dem Kopf und mischte mich unter die Zuhörer. Der Anblick eines anständig gekleideten Herrn, der auf dem Stuhl stand und die ganze Gesellschaft überschrie, erweckte die allgemeine Aufmerksamkeit. Viele, die den Sonderling nicht kannten, sahen sich unwillig unter einander an, andere wiederum lachten über ihn aus vollem Halse.
„Ich kenne Fedossei Nikolajitsch! Ich muß Fedossei Nikolajitsch von allen am besten kennen!“ rief er von seinem erhöhten Platze aus. „Meine Herren, ich bitte ums Wort! Ich werde von Fedossei Nikolajitsch erzählen! Eine Geschichte, sag ich Ihnen – einfach wundervoll!“
„Erzählen Sie, Ossip Michailytsch, erzählen Sie!“
„Erzähl!!!“
„Hört doch ...“
„Hören Sie, hören Sie!!!“
„Ich beginne. Aber meine Herren, diese Geschichte ist sehr sonderbar ...“
„Gut, gut!“
„Diese Geschichte ist sehr lächerlich.“
„Schon gut, wundervoll, vorzüglich, – zur Sache!“
„Sie ist eine Episode aus dem Leben Ihres alleruntertänigsten ...“
„Nun, wozu gaben Sie sich dann noch die Mühe, zu versichern, daß sie lächerlich ist!“
„Und sogar ein bißchen tragisch!“
„Ah????“
„Mit einem Wort, die Geschichte – beendigen Sie das Vergnügen bereitet, mich zu hören, meine Herrn, – die Geschichte infolge der ich in eine für mich so interessante Gesellschaft geraten bin!“
„Die Geschichte ...“
„Mit einem Wort, die Geschichte – beendigen Sie etwas schneller Ihren Apolog – die Geschichte, die wohl wieder etwas kosten wird,“ fügte mit heiserer Stimme ein junger Herr hinzu, steckte seine Hand in die Tasche und zog wie zufällig statt des Taschentuchs seinen Geldbeutel hervor.
„Eine Geschichte, meine Herren, nach der ich gern viele von Ihnen an meiner Stelle sehen würde. Und, endlich, die Geschichte, der zufolge ich nicht geheiratet habe.“
„Geheiratet! ... Eine Frau! ... Polsunkoff wollte heiraten!! Du lieber Gott!!“
„Ich muß gestehn ich hätte gern Mme. Polsunkoff gesehn!“
„Erlauben Sie, bitte, mich zu erkundigen, wer denn diese gewesene Frau Polsunkoff war?“ piepste ein blondlockiger Jüngling, der sich dem Erzähler näherte.
„Also, meine Herren, das erste Kapitel: es war genau vor sechs Jahren, im Frühling, am 31sten März, – bemerken Sie das Datum, meine Herren – am Vorabend ...“
„Des ersten April!“ rief der blondlockige Jüngling.
„Sie sind wirklich ungemein scharfsinnig. Also: es war Abend. Über die Gouvernementsstadt N. verdichtete sich die Dämmerung und der Mond schickte sich an, langsam am blauen Himmelszelt aufzutauchen ... mit einem Wort, kurz, alles war wie es sich gehörte. Und siehe da, – in der spätesten Dämmerstunde war’s, da tauchte auch ich ganz leise und heimlich aus meiner kleinen Wohnung auf, nachdem ich mich noch vorher von meiner ‚total verschlossenen‘ Großmutter verabschiedet hatte. Entschuldigen Sie, meine Herren, daß auch ich diesen modernen Ausdruck gebrauche, den ich erst neulich von Nikolai Nikolajitsch hörte. Aber meine Großmutter war in der Tat vollkommen verschlossen: sie war blind, taub, stumm und dumm, – mehr kann man doch nicht verlangen ... Ich muß gestehn, ich zitterte am ganzen Körper, denn was ich vorhatte, war bedeutungsschwer für mich; das Herz zitterte mir wie einem Kater, der eine knöcherne Hand an seinem Genick fühlt.“
„Erlauben Sie, Mr. Polsunkoff.“
„Sie wünschen?“
„Erzählen Sie einfacher; bitte geben Sie sich nicht so große Mühe!“
„Zu Befehl,“ sagte Ossip Michailytsch ein wenig ungehalten über die Unterbrechung. „Also ich ging zu Fedossei Nikolajitsch – in sein wohlerworbenes Haus. Fedossei Nikolajitsch war bekanntlich nicht mein Mitarbeiter, sondern mein gestrenger Vorgesetzter. Ich wurde angemeldet und man führte mich sofort zu ihm in’s Kabinett. Ich sehe es noch jetzt vor mir; ein fast, fast ganz dunkles Zimmer war’s; Licht wurde nicht gebracht. Ich warte: da tritt auch schon Fedossei Nikolajitsch ein. Und so blieben wir denn beide in der Dunkelheit ...“
„Was ging denn zwischen Ihnen vor?“ fragte ein Offizier.
„Ja, was meinen Sie wohl?“ fragte Polsunkoff, und wandte sich unverzüglich mit zuckendem Gesicht an den Jüngling mit den Locken.
„Nun, meine Herren, es war eine sonderbare Situation. Das heißt, sonderbar war an ihr eigentlich nichts, es war, wie man es so nennt, eine rein praktische Gelegenheit – ich zog einfach aus meiner Tasche einen Packen Papiere, das heißt Staatspapiere ...“
„Papiere?“
„Und er zog gleichfalls aus seiner Brusttasche einen Packen Papier hervor und wir tauschten die beiden Packen aus.“
„Ich könnte wetten, daß es nach Sporteln roch,“ äußerte sich ein gut gekleideter und gut frisierter junger Herr.
„Sporteln?“ griff sofort Polsunkoff das Wort auf, – „Ach!
Wär ich doch ein Liberaler,
Wie ich viele schon gesehn!
Wenn Sie einmal in der Provinz dienen sollten, so werden Sie sehn, daß Sie Ihre Hände am Herd des Vaterlandes nicht wärmen können, wenn Sie nicht ... Sagte doch ein Dichter: Selbst der Rauch des Vaterlandes ist mir angenehm und lieb! Unser Vaterland ist unsere Mutter, unsere Mutter, meine Herren, die leibliche Mutter, wir aber sind ihre Säuglinge, und so saugen wir denn auch an ihm! ...“
Ein allgemeines Gelächter erhob sich.
„Aber glauben Sie mir, meine Herren, ich habe niemals Sporteln genommen,“ sagte Polsunkoff, wobei er plötzlich mißtrauisch die ganze Versammlung übersah. Doch wahrhaft homerisches Gelächter verschlang die Worte Polsunkoffs.
„Nein, wirklich, meine Herren ...“
Er verstummte aber plötzlich, und betrachtete alle mit einem sonderbaren Ausdruck. Vielleicht – wer kann es wissen – vielleicht kam es ihm in dieser Minute in den Sinn, daß er ehrlicher und anständiger war als viele hochgeehrte Herren dieser anständigen Gesellschaft ... Und bis zum Schluß der allgemeinen Heiterkeit blieb der Ausdruck seines Gesichtes ernst und nachdenklich.
„Also,“ begann Polsunkoff, als die Heiterkeit sich gelegt hatte, „obgleich ich niemals Sporteln genommen, beging ich doch dieses Mal eine Sünde: ich schob die Bestechung in meine Tasche ... die Bestechung von einem bestechlichen Beamten ... Das heißt, in meinen Händen befanden sich Papiere, die ... kurz, wenn ich es gewollt hätte, sie Jemandem zu schicken, so wäre es Fedossei Nikolajitsch schlecht ergangen.“
„So kaufte er sie also von Ihnen zurück?“
„Das tat er.“
„Wieviel gab er Ihnen denn dafür?“
„Er gab soviel, für wieviel ein Anderer in unserer Zeit sein Gewissen verkaufen würde, mit allen Variationen desselben ... wenn man ihm dafür nur soviel geben würde. Ich aber war wie mit siedendem Wasser begossen, als ich das Geld in meine Tasche steckte. Wirklich, ich weiß nicht, meine Herren, wie das bei mir zuging, denn ich war weder tot, noch lebendig, meine Lippen konnte ich kaum bewegen, die Kniee zitterten mir; schuldig, schuldig fühlte ich mich, ganz furchtbar schuldig; machte mir ein Gewissen, war sogar bereit, Fedossei Nikolajitsch um Vergebung zu bitten ...“
„Nun, verzieh er Ihnen?“
„Aber ich tat es ja doch nicht ... ich erzähle doch nur, wie mir damals zu Mute war; ich habe, das heißt ... ich habe ein heißes Herz. Ich sehe, er blickt mir gerade in die Augen: ‚Gott fürchten Sie nicht, Ossip Michailytsch?‘ Nun, was war da zu machen? Ich breitete so die Hände aus, blickte zur Seite. – ‚Warum soll ich denn Gott nicht fürchten, Fedossei Nikolajitsch?‘ Sage das nur so aus Anstand ... selbst bin ich bereit in die Erde zu sinken. ‚Sie, der so lange der Freund unseres Hauses gewesen sind, Sie, der Sie uns fast ein Sohn ... und wer weiß, was vom Schicksal uns noch bestimmt gewesen wäre, Ossip Michailytsch! Und plötzlich, bereiten Sie sich vor mich anzugeben! ... Was soll man nach alledem von den Menschen denken, Ossip Michailytsch?‘ Ach, meine Herren, wie hat er mir ins Gewissen geredet! – ‚Sagen Sie mir, was soll man nach alledem von den Menschen denken, Ossip Michailytsch?‘ fragt er mich. – ‚Was,‘ denke ich, ‚was soll man denn denken?‘ Wissen Sie, die Kehle wurde mir trocken und das Stimmchen zitterte mir, ich fühlte schon, daß ich weich wurde und griff zur Mütze ... ‚Wohin wollen Sie, Ossip Michailytsch? Werden Sie wirklich am Vorabend solch eines Tages ... werden Sie es mir wirklich nachtragen? Was habe ich Ihnen denn Böses getan? ...‘ ‚Fedossei Nikolajitsch,‘ sage ich, ‚Fedossei Nikolajitsch!‘ Mit einem Wort, meine Herren, ich wurde windelweich, wie ein nasses Zuckerstück schmolz ich zusammen. Und das Paket mit den Banknoten, das in meiner Tasche lag, schien mir gleichfalls zuzurufen: ‚Undankbarer Räuber, ruchloser Dieb, Du!‘ – und fünf Pud schwer dünkte es mich – wenn es doch in Wahrheit nur fünf Pud gewogen hätte! – ‚Ich sehe, daß Sie es bereuen,‘ sagt Fedossei Nikolajitsch – ‚Wissen Sie, morgen ist der Namenstag ... Nun, weine nicht, genug: hast gesündigt und bereust es! Gehn wir! Vielleicht gelingt es mir, Dich auf den rechten Weg zurückzuführen! Vielleicht werden meine bescheidenen Penaten – erinnere mich ganz genau, der Räuber sagte Penaten – Dich erwärmen, werden Dein Herz ...‘ Er faßte mich unter den Arm und führte mich zu den Seinen. Mir lief es kalt über den Rücken; ich zitterte. Mit welchen Augen werden sie mich ansehn? dachte ich. Sie müssen nämlich wissen, meine Herren ... wie soll ich’s Ihnen sagen, es gab da noch so eine delikate Geschichte ...“
„Etwa Madame Polsunkoff?“
„Marja Fedossejewna war es nicht bestimmt, solch eine Madame zu werden, wie Sie sie zu nennen belieben. Doch Fedossei Nikolajitsch war im Recht, wenn er sagte, daß ich im Hause fast für einen Sohn gehalten wurde. Vor einem halben Jahre war das schon der Fall gewesen, nämlich als noch Michail Maximytsch Dwigailoff, der Junker außer Diensten, lebte. Aber nach einem höheren Ratschluß Gottes starb er und da er das Testamentmachen immer aufgeschoben, so konnte man auch nachher nirgendwo eines finden ...“
„Ah!!!“
„Nun, nichts zu machen, meine Herren, entschuldigen Sie, ich habe mich versprochen, das war allerdings nicht schön, doch das will ja auch nichts besagen, dafür aber war die Sache selbst um so schlechter, als ich zurückblieb, sozusagen, bloß mit der Null in der Perspektive, denn der Junker außer Diensten, wenn ich auch sein Haus nicht betreten durfte – er lebte auf großem Fuße, wahrscheinlich weil er früher lange Finger gehabt – so hielt er mich vielleicht doch nicht ganz irrtümlicher Weise für seinen leiblichen Sohn.“
„Aha!!!“
„Ja, also so war’s! Nun, und da zeigte man mir bei Fedossei Nikolajitsch lange Nasen. Ich bemerkte es denn auch sofort und war darob nicht wenig verwundert, bezwang mich aber. Da kam plötzlich zu meinem Unglück – oder vielleicht auch zu meinem Glück – wie kalter Schnee auf’s Haupt, in unser Städtchen ein Remonteoffizier hereingesaust. Nun, wissen Sie, seine Aufgabe wurde ihm nicht allzu schwer gemacht, Kavallerieplänkelei ... wenn er sich nur nicht bei Fedossei Nikolajitsch so festgesetzt hätte, saß wie eine Kugel in der Wand! Ich, der langjährige Hausfreund war vergessen ... und, wissen Sie, dumme Angewohnheit: nehme Fedossei Nikolajitsch bei Seite und erkläre ihm so und so, warum denn gleich beleidigen! Da ich doch in gewissem Sinne schon wie ein Sohn war ... Das Väterliche, das Väterliche ... ach, nun ja, das heißt, ich meine, wie soll ich’s denn abwarten!? Nun, er antwortete mir, das heißt, er erzählte mir ein ganzes Poem in zwölf Liedern und Gesängen, schon allein vom Zuhören fließt es einem wie Honig über die Seele, man leckt sich bloß die Lippen. Fragst Du Dich aber nach dem Sinn der Worte, so stehst Du wie ein Ochs am Berg: der Schuft dreht sich wie ein Aal, bleibt nirgends stecken, geht ölglatt über alle Hindernisse hinweg. Mit einem Wort, ein Talent hatte er, sag ich Ihnen, ein Talent, daß einem angst und bange wurde, wirklich eine phänomenale Begabung! Weder ja noch nein, denk Dir, was Du willst. Nun, Sie können sich denken, was ich mir dachte! Schleppe ihr Romanzen zu, bringe Konfekt und brüte Witzchen aus, seufze und stöhne, Ach und Weh, mein Herz schmerzt mir vor Liebe, sage ich und weine Tränen, mache heimliche Geständnisse. Dumm ist der Mensch! Der Alte hatte ja nicht in den Kirchenbüchern nachgeschlagen, wußte also nicht, daß ich dreißig Jahre alt war! Fehlt noch! Wollte schlau sein! Aber meine Sache glückte mir nicht, Spott und Gelächter rund um mich herum ... da packte mich die Wut und preßte mir die Kehle zu. Ich ging davon, gedachte in dieses Haus nie mehr meinen Fuß zu setzen – und die Sache anzugeben. Ich gebe es zu, daß es gemein von mir war, den Freund angeben zu wollen, aber Material dazu war viel vorhanden, kostbares Material, wäre eine kapitale Sache gewesen! Tausendfünfhundert brachte es mir ein, als ich es gegen Papierscheine eintauschte!“
„Ah! Da haben wir die Sporteln!“
„Ja, mein Herr, das wären Sporteln gewesen, die mir ein käuflicher Mensch bezahlt hätte! Und das wäre doch wirklich keine Sünde gewesen. Aber ich werde meine Erzählung jetzt wieder aufnehmen: wie Sie sich vielleicht noch erinnern, zog er mich halbtot, also nur halb lebendig ins Teezimmer; man empfängt mich: alle scheinen sie beleidigt, das heißt, nicht gerade beleidigt, sondern so betrübt zu sein, daß es schon einfach ... Mit einem Wort, niedergeschlagen, ganz niedergeschlagen, auf ihren Gesichtern lag eine Feierlichkeit, sag’ ich Ihnen, eine Trauer in ihren Blicken, so etwas Väterliches, Verwandtschaftliches ... der verlorene Sohn kehrte wieder zurück. Kurz, man setzte sich an den Tisch, um Tee zu trinken: mir selbst kochte ein Samowar in der Brust, meine Füße waren eiskalt: ich zitterte, betete! Marja Fominischna, seine Gemahlin, Hofrätin – jetzt ist sie Frau Kollegienrat – redete mich sofort mit Du an: ‚Warum bist Du, Väterchen, so abgemagert?‘ fragte sie. – ‚Nur so, bin erkältet, Marja Fominischna,‘ sage ich ... das Stimmchen zitterte mir. Und sie beginnt sofort, mir nichts, dir nichts, die Sachen abzuwickeln, solch eine Viper: daß augenscheinlich wohl das Gewissen mich quäle. ‚Unser verwandtschaftliches Salz und Brot, das Du verraten wolltest, meine blutigen Tränen, die ich vergossen habe, brennen Dir wohl auf dem Herzen‘. Bei Gott, das sagte sie, gegen ihr eigenes Gewissen sagte sie das! Ein verwegenes Weib war sie! Saß da am Tisch und goß den Tee ein. Warte, dachte ich, wenn Du auf dem Markt wärest, würdest Du alle anderen Weiber überschreien. Solch eine war unsere Hofrätin. Und zu meinem Unglück trat jetzt noch die Tochter Marja Fedossejewna mit ihrer ganzen Unschuld ins Zimmer, ein wenig bleich, die Äuglein wie von Tränen gerötet – ich war vernichtet, auf der Stelle vernichtet! Später erfuhr ich es, daß sie die Tränen wegen des Remonteoffiziers vergossen hatte: der hatte sich heimlich aus dem Staube gemacht, die Flucht auf seine Weise ergriffen, denn es war für ihn Zeit geworden, den Rückzug anzutreten ... doch war’s nicht etwa ein Befehl von oben gewesen, der ihn dazu gezwungen hatte. Nein ... nachher erst bemerkten es die Eltern, aber was war dann noch zu machen? Mußten das Unglück in aller Stille beseitigen! ... Ich aber, ich war, als ich sie erblickte, einfach vernichtet, ich griff nach meinem Hut, wollte so schnell als möglich spurlos verschwinden ... aber man nahm mir den Hut fort ... Ich wollte schon ohne Hut auf und davon – man schloß die Tür zu, man lächelte, man blinzelte sich gegenseitig zu, – ich wurde ganz konfus, ich stammelte irgend etwas, sprach vom Liebesgotte Amor: sie, das Täubchen, setzte sich ans Klavier und sang in traurigen beleidigten Tönen eine Romanze von einem Husaren, der sich auf seinen Säbel stützte. Großer Gott! – ‚Ach, alles, alles soll vergessen sein, komm in meine Arme!‘ rief mir plötzlich Fedossei Nikolajitsch zu. Ich, wie ich da war, fiel mit meinem Gesicht auf seine Weste. ‚Mein Wohltäter, mein leiblicher Vater,‘ rief ich und weinte heiße Tränen. Mein Gott! Die Folgen waren fürchterlich! Er weinte, die Frau weinte, Maschenka weinte ... und noch eine blonde Dame war dort, und auch die weinte ... plötzlich krochen aus allen Ecken und Enden Kinder hervor – Gott hatte sein Haus gesegnet! – und auch die brüllten mit ... wieviel Tränen, wieviel Verzeihen, welch eine Freude, einen Verlorenen brachte man zurück, ich wurde beweint, wie ein Soldat, der in die Heimat zurückkehrt! Man reichte Süßigkeiten herum, spielte Pfänderspiele und blinde Kuh: ‚Oh, wie es schmerzt‘! – ‚Was schmerzt?‘ – ‚Das Herz!‘ – ‚Warum?‘ Sie wird rot, das Täubchen! Der Alte und ich tranken darauf einen Punsch, – man ging endlich auseinander und hatte mich vollständig eingezuckert ... Ich kehrte zu meiner Großmutter zurück. Mein Kopf ging mir rund; auf dem ganzen Wege hatte ich vor mich hingelächelt, zu Hause ging ich zwei geschlagene Stunden in meinem Zimmer auf und ab, weckte die Alte auf, teilte ihr all mein Glück mit. ‚Hat er Dir das Geld gegeben, der Räuber?‘ – ‚Hat gegeben Großmütterchen, hat gegeben, meine Liebe, das Glück ist bei uns eingezogen, öffne nur die Arme!‘ – ‚Nun, jetzt heirate aber, jetzt ist es Zeit, daß Du heiratest,‘ sagt mir die Alte, ‚meine Gebete sind erhört worden‘. Ich weckte Ssofron. ‚Ssofron, zieh’ mir die Stiefel aus! Nun, Ssofroscha! Jetzt kannst Du mir gratulieren, kannst mich umarmen! Ich heirate einfach, Brüderchen, ich heirate, kannst Dich morgen betrinken, kannst einmal durchgehn, liebe Seele, so viel Du willst. Dein Herr heiratet!‘ Eitel Sonnenschein war in meinem Herzen! ... Schon wollte ich einschlafen, aber wieder erhob ich mich und dachte und dachte, und plötzlich ging es mir durch den Kopf: morgen ist der erste April, solch ein heller, spielerischer Tag, wie wär’ es – wenn? ... Und was glauben Sie, meine Herren, ich stand vom Bett auf, zündete das Licht an und setzte mich an den Schreibtisch. Ich war außer Rand und Band, hatte mich schon ganz vergessen, – wissen Sie, meine Herren, wie es ist, wenn ein Mensch sich ganz im Spiel verliert? Mit dem Kopf voran bin ich ins Unglück gerannt! Das liegt schon so im Charakter: sie nehmen Dir etwas und Du gibst Ihnen alles, was Du sonst noch hast. Sie geben Dir einen Backenstreich, Du aber bietest Ihnen zum Vergnügen noch den ganzen Rücken hin. Sie zeigen Dir wie einem Hund ein Stückchen Weißbrot, und Du greifst aus ganzer Seele und mit ganzem Herzen mit Deiner dummen Pfote danach – und küßt Ihre Hände! Wenn das wenigstens jetzt ... Meine Herren! Sie lachen und flüstern unter einander, ich sehe es ja! Nachher, wenn ich Ihnen alle meine Geheimnisse erzählt haben werde, so werden Sie über mich lachen, werden mich hinausstoßen, ich aber werde Ihnen erzählen, erzählen, alles erzählen! Wer hat mich dazu gezwungen! Wer hat es mir befohlen? Wer steht hinter meinem Rücken und flüstert mir zu: erzähle, erzähle! Und ich erzähle und krieche Ihnen damit in die Seele, als ob Sie meine leiblichen Brüder oder Busenfreunde wären ... eh!“
Das Gelächter, das sich immer mehr und mehr verbreitete, übertönte schließlich vollständig die Stimme des Erzählers, der wirklich in Begeisterung geraten war; er hielt inne, seine Augen liefen einige Minuten lang über die Versammlung hin, und plötzlich, wie vom Sturme mitgerissen, fing er selbst zu lachen an, als ob er wirklich seine Lage so lächerlich fand – und setzte dann erst wieder seine Erzählung fort:
„Ich schlief so gut wie überhaupt nicht, meine Herren; die ganze Nacht fast kritzelte ich auf dem Papier herum; hatte mir einen Scherz ausgedacht! Ach, meine Herren, wenn ich daran denke, so wird mir schlecht zu Mut! Das kommt vom Nachtwachen, von verschlafenen Augen, hatte mir da was ausgeheckt, was zusammengelogen! Am anderen Morgen erwachte ich, hatte im ganzen nur zwei Stunden geschlafen, kleidete mich an, wusch mich, frisierte und pomadisierte mich, zog mir einen neuen Frack an und begab mich geradewegs zum Fest zu Fedossei Nikolajewitsch. Das Papier hatte ich in den Hut gesteckt. Er empfing mich selbst mit geöffneten Armen und wollte mich wieder an seine väterliche Weste pressen. Ich aber nahm eine vornehme Haltung an und trat einen Schritt zurück: ‚Nein, Fedossei Nikolajitsch, wollen Sie gefälligst dieses Papier durchlesen,‘ sagte ich, und überreichte ihm das Papier, und wissen Sie, was in dem Bericht enthalten war? Daß ein gewisser Ossip Michailytsch aus diesen und jenen Gründen seinen Abschied einreicht, – und unterzeichnet hatte ich es mit meinem vollen Rang und Namen! Großer Gott, daß ich mir auch gerade das hatte ausdenken müssen! Klügeres konnte mir natürlich nicht einfallen! Heute ist der erste April, folglich werde ich mir den Spaß erlauben und eine Miene aufsetzen, als ob ich mich noch gekränkt fühlte und mich über Nacht bedacht hätte, daß ich Euch, meine verwandtschaftlichen Wohltäter und Eure Tochter überhaupt nicht brauche; das Geld habe ich mir gestern in die Tasche gesteckt, bin daher versorgt und reiche jetzt meinen Abschied ein. Möchte vielleicht unter solch einem Vorgesetzten wie Fedossei Nikolajitsch nicht dienen! Werde mir einen anderen Dienst suchen und dann die Denunziation doch einreichen. Zu solch einem Schurken machte ich mich, um sie zu erschrecken! Da war denn Grund genug vorhanden, um erschrocken zu sein! Seit dem vergangenen Tage hing ich mit ganzem Herzen an ihnen; werde mir einen Familienscherz erlauben, dachte ich, werde das väterliche Herz Fedossei Nikolajitschs beängstigen ...
Er griff sofort nach dem Papier, öffnete es und ich sah, wie seine ganze Physiognomie sich veränderte. ‚Wa–a–s, Ossip Michailytsch?‘ – ‚Erster April! Prost Fest, Fedossei Nikolajitsch!‘ sage ich ihm wie ein Dummkopf. Das heißt, wie ein kleiner Junge, der sich hinter dem Stuhl der Großmutter versteckt hat und plötzlich um sie zu erschrecken ihr aus vollem Halse Kikiriki ins Ohr schreit! Ja ... man schämt sich einfach, so was zu erzählen, meine Herren! Nein, ich werde lieber nicht mehr fortfahren ...!“
„Aber nein, weiter, weiter!“
„Nein, nein, erzählen Sie doch! Nein, unbedingt erzählen Sie, erzählen Sie!“ tönte es von allen Seiten.
„Nun, meine Herren, man ächzte und seufzte und saß über mich zu Gericht. Ein Schelm sei ich, und ein Spaßvogel sei ich und ich hätte sie so erschreckt und so viel Süßes hörte ich, daß ich mich selbst schämte und mit Schrecken daran dachte: ‚wie kann solch ein Sünder wie ich, solch einen heiligen Platz einnehmen!‘ – ‚Nun, mein Werter,‘ quiekte die Hofrätin, ‚hast mich so erschreckt, daß mir noch jetzt die Kniee zittern und ich mich kaum auf den Füßen halten kann! Wie eine Halbwahnsinnige lief ich zu Maschenka und frage sie, was wird aus uns werden! Sieh, als was der Deinige sich entpuppt! So sündigte ich, mein Lieber, mußt mir Alten schon verzeihen! Nun, dachte ich: gestern Abend ist er spät nach Hause gekommen, hat sich’s dann noch überlegt, schien ihm vielleicht, daß wir ihm gestern zu sehr den Hof gemacht, ihn beeinflußt haben. Laß gut sein, Maschenka, brauchst mir nicht abzuwinken, Ossip Michailytsch ist uns ja doch kein Fremder, und ich bin Deine Mutter, werde schon nichts Unnötiges sagen! Gott sei Dank, lebe ja doch nicht erst seit zwanzig Jahren auf der Welt, sondern schon seit ganzen fünfundvierzig!‘ ...“
„Nun, was glauben Sie, meine Herren, ich wäre ihr beinahe zu Füßen gestürzt! Man weinte wieder Tränen der Freude und umarmte sich, erlaubte sich Scherzchen. Fedossei Nikolajitsch dachte sich auch einen Aprilscherz aus! Er sagte, daß ihm der Vogel Phönix in seinem brillantenen Schnabel einen Brief gebracht hätte. Man lachte viel darüber. Man schämt sich rein, es zu erzählen!“
„Nun, meine Herren, jetzt komme ich zum Schluß meiner Erzählung. Wir lebten so noch einen Tag, den zweiten, den dritten, die ganze Woche; ich war also Bräutigam. Die Ringe waren bestellt, der Tag schon festgesetzt, man wollte es nur vorläufig noch nicht veröffentlichen, da man den Revisor erwartete. Ich erwartete ihn besonders ungeduldig, er störte mein Glück. Wenn man ihn doch schon wieder vom Halse hätte, dachte ich. Fedossei Nikolajewitsch aber überließ mir unter Scherzen und Lachen alle Arbeit: Rechnungen und Berichte zu schreiben, die Bücher zu vergleichen und was noch mehr. Die schrecklichste Unordnung herrschte überall, alles war rückständig, voll von Häkchen und Hindernissen. Nun, denke ich, tue es für den Schwiegervater! Der aber kränkelte die ganze Zeit schon und es wurde mit ihm von Tag zu Tag immer schlechter und schlechter. Ich selbst aber war schon so abgemagert wie ein Streichhölzchen, arbeitete die Nächte durch und fürchtete mich bereits, ganz zusammenzubrechen. Wurde aber doch mit der Arbeit bis zum Termin fertig. Plötzlich schickt man einen Boten nach mir, ich möge doch so schnell als möglich kommen, Fedossei Nikolajitsch ginge es schlecht. Ich laufe hin, und zerbreche mir schon unterwegs den Kopf, was da wohl los sein könnte? Mein Fedossei Nikolajitsch sitzt, den Kopf mit Essigkompressen umwickelt, krächzt, stöhnt, seufzt: Och und Ach! ‚Mein Werter, mein Lieber,‘ sagt er, ‚ich sterbe, wem werde ich meine Küken überlassen?‘ Frau und Kinder jammerten, Maschenka war in Tränen aufgelöst – nun, und ich selbst fing an zu weinen! ‚Nein, Gott wird nicht so ungerecht sein, daß er meine Familie für meine Sünden strafen wird,‘ sagte er. Darauf befahl er ihnen allen, das Zimmer zu verlassen, die Tür zu schließen und uns allein zu lassen. ‚Habe eine Bitte an Dich!‘ – ‚Welch eine?‘ – ‚So und so, Brüderchen, würde im Grabe keine Ruhe haben: habe Geld nötig!‘ – ‚Wie denn das?‘
Ich stotterte und erbleichte. ‚Ja, Brüderchen, mußte von eigenem Gelde in die Kasse legen; ich, Brüderchen, spare nicht, wenn es sich um den allgemeinen Nutzen handelt! Schone nicht einmal mein Leben! Glaube nicht Schlechtes von mir, man hat mich bei Dir verleumdet ... Der Kummer um Dich machte mir mein Haar ergrauen. Der Revisor wird erwartet und bei Matwejeff fehlen sieben Tausend Rubel in der Kasse, ich muß dafür verantworten, wer denn sonst! Von mir wird man sie verlangen, und von Matwejeff ist doch nichts zu holen! Habe schon so wie so genug von ihm!‘
‚Alle Heiligen,‘ denke ich, ‚welch ein Mensch, was für eine Seele!!‘ – ‚Ja,‘ sagt er, ‚an die Aussteuer und Mitgift meiner Tochter will ich nicht rühren: das ist eine heilige Summe! Habe ja auch noch eigenes Geld, aber das ist bei Leuten, von denen jetzt nichts zu erwarten ist!‘ Ich fiel vor ihm auf die Kniee. ‚Mein Wohltäter,‘ rief ich, ‚habe Dich beleidigt und gekränkt. Verleumder haben über Dich Schlechtes ausgesagt, nimm das Geld zurück, das Geld, das Du mir gegeben hast!‘ Er sieht mich dankbar an und die Tränen fließen ihm über die Wangen. ‚Das hatte ich von Dir erwartet, mein Sohn, stehe auf; damals vergab ich Dir um der Tränen meiner Tochter willen, jetzt verzeiht Dir auch mein Herz! Du hast mir meine Wunden geheilt, sei gesegnet bis in alle Ewigkeit!‘ Nun, meine Herren, als er mich gesegnet hatte, lief ich fast auf allen Vieren nach Haus und brachte ihm die Summe: ‚Hier, Väterchen, ist alles, nur fünfzig Rubel habe ich davon ausgegeben!‘ ‚Tut nichts,‘ sagt er, ‚man muß nicht alles so genau nehmen; die Zeit eilt, schreib’ nur einen Zettel älteren Datums aus, daß Du 50 Rubel Gage vorausbittest ...‘ Nun, was, meine Herren! Was glauben Sie! Ich schrieb den Zettel! ...“
„Nun, und – wie endete denn alles? ...“
„Wie ich den Zettel geschrieben hatte, meine Herren, geschah Folgendes. Ganz früh am anderen Morgen erschien ein versichertes und versiegeltes Paket, und was finde ich in ihm? Meine Entlassung! Also arbeite und schinde Dich und dann kannst Du Deines Weges gehn!“
„Wie denn das?“
„Ja, habe gleichfalls aus voller Kehle geschrieen, meine Herren, wie das möglich wäre! Ich dachte nach: Sollte der Revisor angekommen sein? ... Mein Herz krampfte sich zusammen. So wie ich war, lief ich zu Fedossei Nikolajitsch: ‚Was bedeutet das?‘ fragte ich. ‚Ja, wie denn, das ist doch die erwünschte Entlassung!‘ – ‚Welche erwünschte Entlassung? Ich weiß nichts davon.‘ –
‚Aber die Entlassung aus dem Dienst!‘ – ‚Ja, habe ich denn überhaupt ein Entlassungsgesuch eingereicht?‘ – ‚Gewiß, am ersten April haben Sie Ihr Entlassungsgesuch eingereicht.‘ – ‚Fedossei Nikolajitsch, sehen denn meine Augen recht, hören denn meine Ohren recht?‘ – ‚Wie kommen Sie darauf, so etwas zu fragen?‘ – ‚Oh, mein Gott!‘ – ‚Ja, mein Herr, es tut mir sehr leid, daß Sie schon so früh Ihren Dienst verlassen wollen! Ein junger Mensch muß dienen, aber Sie, mein Herr, scheinen Wind im Kopf zu haben. Was das Attestat anbelangt, seien Sie unbesorgt, ich werde schon dafür sorgen. Sie haben sich ja immer so gut aufgeführt!‘ – ‚Ich habe doch nur gescherzt, Fedossei Nikolajitsch, hatte mir mit diesem Papier nur einen Familienscherz erlauben ...‘ – ‚Wie das! Was für einen Scherz? Scherzt man denn mit solchen Dingen? Für solche Scherze wird man Sie noch einmal nach Sibirien schicken! Leben Sie wohl, ich habe keine Zeit mehr. Der Revisor ist da, die Dienstpflichten gehn allem voran, Sie können Domino spielen, wenn Sie wollen, wir aber müssen arbeiten. Ich werde Sie schon wie es sich gehört attestieren. Übrigens, was ich sagen wollte, ich habe das Haus von Matwejeff gekauft, werde daher in diesen Tagen umziehen, so daß ich wohl hoffen kann, Sie ferner nicht mehr bei mir zu sehn!‘ Ich lief nach Haus. ‚Wir sind verloren, Großmütterchen, verloren!‘ Die Alte weinte, die Arme! Gleich darauf folgte der Laufbursche von Fedossei Nikolajitsch mit einem Vogelbauer, in dem ein Staar saß, und überreichte mir einen Zettel. Auf ihm stand: ‚1. April‘ – und weiter nichts. Nun, meine Herren, wie gefällt Ihnen meine Erzählung?“
„Und was geschah denn weiter???“
„Was weiter geschah? Ich begegnete noch einmal Fedossei Nikolajitsch auf der Straße, wollte ihm ins Gesicht sagen ...“
„Nun?“
„Aber ich brachte es doch nicht über die Lippen, meine Herren!“